Gesellschaftswandel
Joseph Haydns Karriere und der Wandel des Musikerberufs
Zusammen mit Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven zählt Joseph Haydn zu den wichtigsten Vertretern der Wiener Klassik. Während seines Lebens fand ein gesellschaftlicher Prozess statt: Musiker konnten zunehmend auch als Freischaffende leben und waren nicht mehr von der Gunst eines einzelnen Herren abhängig. Auch Haydn hätte vor allem in späteren Jahren von externen Aufträgen leben können. Doch während seine jüngeren Kollegen Mozart und Beethoven bereits als selbstständige Komponisten ohne feste Anstellung tätig waren, blieb Haydn formell bis zu seinem Tod Kapellmeister der Fürsten Esterházy. Wie beurteilte er selbst seine Lage inmitten dieses sozialen Wandels? Inwiefern schlug sich dieser in seiner Biographie nieder? Und welche Gründe hatte Haydn, in esterházy’schen Diensten zu bleiben? Wir suchen Haydns persönlichen Blick auf seinen beruflichen Werdegang.
Joseph Haydn – ein „freischaffender Fürstendiener“
Der treue, obrigkeitshörige Diener der Fürsten Esterházy – das ist ein gängiges Bild, das wohl viele von Joseph Haydn haben. Tatsächlich lässt sich jedoch anhand seines Lebensweges ein Gesellschaftswandel ablesen: In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts veränderte sich das Ansehen der Musikerberufe. Aus der „Handwerkskunst“ wurde „Künstlerkunst“. Vor diesem Wandel entstanden Musikstücke meist im Auftrag der Kirche oder des Adels und die Kompositionen mussten dem Geschmack der Auftraggeber angepasst werden. Immer häufiger schrieb man jedoch für ein anonymes Publikum. Möglich war das unter anderem durch die zunehmende Emanzipation des Bürgertums, sodass sich nicht mehr allein der Adel Musik leisten konnte. Das führte auch zu einer zunehmenden Gleichstellung von Kunstproduzent und Kunstkonsument.
Joseph Haydn begann nach seiner Chorknabenzeit als freischaffender Künstler, bekam schließlich feste Anstellungen und war bis zu seinem Ruhestand Kapellmeister der Fürsten Esterházy – wirklich abhängig von seinem Dienstherren war er jedoch spätestens ab 1795 nicht mehr. Gehen wir also die wichtigsten Karrierestationen Haydns ab und sehen uns dabei nicht nur seine finanzielle Situation, sondern auch seine gesellschaftliche Stellung an.
Der junge Haydn: Selbstständig im „armseligen Dachstübchen“
Nachdem Haydn als Chorsänger zu St. Stephan in Wien ausgedient hatte, entschied sich der damals etwa 17-Jährige für den Musikerberuf. Der Überlieferung nach dürften seine Eltern darüber nicht glücklich gewesen sein, da sie sich den Priesterstand für ihren Sohn gewünscht hätten. Die Sorge war wohl nicht unbegründet: Bei Haydns Biographen Georg August Griesinger und Albert Christoph Dies kann man lesen, dass der junge Mann während etwa neun Jahre anhaltenden Selbstständigkeit durchaus finanzielle Probleme hatte. In seiner Wohnung am Wiener Michaelerplatz – das Griesinger als „armseliges Dachstübchen“ bezeichnet – sei er regelmäßig durchnässt aus dem Schlaf aufgeschreckt, weil der Regen durch das Dach drang. Auch Hunger hätte ihn geplagt, sodass er manchmal überlegt habe, dem Servitenorden beizutreten, weil dort regelmäßige Mahlzeiten gesichert waren. Sogar sein Klavier war angeblich „von Würmern zerfressen“. Wie viel davon für einen dramatischeren Effekt übertrieben wurde, kann heute allerdings nicht mehr ganz nachvollzogen werden. Fest steht, dass Haydn schließlich doch in eine Wohnung auf der Seilerstätte umziehen konnte.
Über Wasser hielt sich der junge Mann in dieser Zeit laut Dies mit Unterricht, dem Organistendienst in einer Vorstadtkirche und dem Komponieren für Liebhaber. Unbeschäftigt war er also nicht, doch monetäre Sicherheit hatte er erst mit seiner Festanstellung beim Grafen Morzin um 1758.
Haydns frühe Jahre als Kapellmeister: „Es ging ihm ganz gut“
Um als Musiker Mitte des 18. Jahrhunderts gut leben zu können und anerkannt zu sein, musste man sich einem aristokratischen Herrn unterstellen. Die Zeit und der Markt waren in Haydns jungen Jahren noch nicht reif für einen freischaffenden Künstler: Als Mozart seinen Dienstherren verließ, um selbständig zu werden, war das revolutionär – und das war etwa fünfundzwanzig Jahre nach Haydns Anstellung bei Graf Morzin! Mozarts Streben nach freiem künstlerischen Schaffen nahm das neue Künstlerideal um knapp fünfzehn Jahre vorweg. Beethoven konnte sich in diesem Sinne bereits verwirklichen, denn da hatte sich das Ansehen seines Berufes bereits gewandelt: Musiker wurden nicht mehr als Dienstleister wahrgenommen, sondern zum Genie stilisiert.
Von dieser Entwicklung war Haydn um 1758 noch ein paar Jahrzehnte entfernt. Für ihn bedeutete die Festanstellung beim Grafen wohl eine große Erleichterung:
Die gestrichene Klausel in Haydns Dienstvertrag
Für Haydns Anstellung als Vizekapellmeister am Esterházy-Hof wurde 1761 ein Dienstvertrag erstellt, der uns bis heute erhalten ist. Haydns Arbeitsbedingungen und Aufgaben werden darin in vierzehn Punkten definiert. Punkt vier bezieht sich auf die Kompositionstätigkeit Haydns:
Haydn durfte also laut Vertrag nur für den Fürsten komponieren und seine Werke auch nicht anderweitig verbreiten. Das entsprach der damaligen Norm, denn ein Urheberrecht im modernen Sinne existierte noch nicht: Kompositionen waren Eigentum der Auftrag- oder Dienstgeber.
Im Jahr 1779 – Haydn arbeitete bereits unter Fürst Nikolaus I. Esterházy – wurde sein Dienstvertrag jedoch neu aufgesetzt. Dieses Dokument ist wesentlich weniger streng formuliert, einige Klauseln aus dem alten Vertrag wurden sogar ersatzlos gestrichen – darunter auch Punkt Nummer vier. Haydn war also nicht mehr verpflichtet, seine Kompositionen einer Person vorzubehalten. Diese neue Möglichkeit nutzte er auch schnell aus, denn bereits ab 1780 war er überwiegend für andere Auftraggeber tätig.
Der fehlende Passus zeigt zwei Entwicklungen. Einerseits ist der neue Vertrag ein Zeichen dafür, dass Haydn in seiner Position und in seinem Ansehen am Esterházy-Hof bereits sehr gefestigt war. Andererseits zeichnet sich hier schon ein gesellschaftlicher Wandel ab, der Musikern eine freiere Arbeit ermöglicht.
Haydn macht aus der Not eine Tugend: „[…] und so mußte ich original werden“
Haydn war vertraglich dazu verpflichtet, dort zu sein, wo Fürst Esterházy sich gerade aufhielt oder Musik wünschte – auch gemäß dem Vertrag von 1779. Autonome Reisetätigkeiten waren Haydn daher für eine lange Zeit nur selten möglich. Wo der Fürst war, war auch Haydn und das war meistens in Eisenstadt oder in Schloss Eszterháza in Süttör (heute: Fertöd). Auf seine räumliche Isolation angesprochen, soll der alternde Haydn seinem Biographen Griesinger geantwortet haben:
Im Alter hatte er offenbar eine mildere Sicht auf die Dinge, Haydn hatte seine Abgesondertheit nämlich nicht immer positiv gesehen. Kurz vor seiner ersten Reise nach England schrieb er regelmäßig Briefe an seine gute Freundin Marianne von Genzinger. In deren Passagen liest man immer wieder, dass Haydn seine Lage durchaus beklagte – etwa wenn er nach einem Aufenthalt in Wien wieder in Eszterháza bleiben musste.
heißt es da im Jahr 1790. Knapp eine Woche später in Eszterháza angekommen zeigt sich Haydn sichtlich deprimiert:
Besonders bedauerte er, dass ihm Reisen nach Wien untersagt wurden:
Drastische Worte fand er dazu einen Monat später:
Kurz nachdem diese unzufriedenen Zeilen entstanden, konnte Haydn jedoch erstmals nach England aufbrechen. Die Briefe an Marianne von Genzinger vor seiner Reise zeugen vom Streben des fürstlichen Kapellmeisters nach mehr Freiheit – eine Sehnsucht, die er in England befriedigen konnte.
Haydn in England: „Süsse freyheit“
In England angekommen, erfreute sich Haydn offenbar an seiner neuen Ungebundenheit. Er schrieb im September 1791 an Marianne von Genzinger:
Weiter heißt es:
Ganz so ungebunden, wie Haydn sich in dem Brief zunächst beschreibt, war er allerdings nicht. Der Fürst, so geht das Schreiben weiter, habe ihm nämlich befohlen, baldigst nach Hause zurückzukehren – eine Forderung, der Haydn allerdings aufgrund seiner Verpflichtungen in England nicht nachkommen konnte.
Dieser Satz lässt vermuten, dass Haydn sich anscheinend imstande sah, auch ohne die fürstliche Anstellung seinen Lebensunterhalt verdienen zu können.
Doch Haydn dürfte ein großes Verantwortungsbewusstsein seinen Angehörigen gegenüber gehabt haben. Der Brief aus England enthält nämlich noch eine weitere Passage:
Warum hatte er dieses Bedürfnis? Haydn gibt uns Antwort:
Die Versorgung seiner nahen Verwandten (eheliche Kinder hatte er nicht) war ihm also ein Anliegen und ein Grund, warum Haydn seinen Dienst nie quittierte, um wie seine jüngeren Kollegen Mozart und Beethoven freischaffend zu werden. Er nahm zwar vor allem nach seiner Rückkehr gutes Geld mit der „Schöpfung“ und den „Jahreszeiten“ ein, das regelmäßige Einkommen im fürstlichen Dienst wollte er aber anscheinend nicht missen – schließlich entstanden gleichzeitig noch sechs Messen für den Fürsten.
Die befürchtete Kündigung blieb jedenfalls aus und Haydn kehrte 1795 nach seiner zweiten Englandreise endgültig zurück. Bei Griesinger können wir dazu lesen:
So dürfte Haydn es ihm rückblickend erzählt haben.
„Auf Haydn!“ – Gefeierter Star am Hof der Esterházy
Haydn macht die gesellschaftliche Entwicklung seines Berufsstands – vom Diener zum Freischaffenden – fast zur Gänze mit, denn in seiner Spätphase war er zwar noch im Dienste des Fürsten Esterházy, aber nicht mehr wirklich abhängig von ihm. Er galt als einer der bekanntesten Komponisten Europas und eine entsprechende Ehrerbietung können wir auch bei seinem Dienstgeber feststellen. Der Kapellmeister avancierte zum Star des Esterházy-Hofes: Beim Namensfest der Fürstin im Jahr 1799 trank sogar Fürst Esterházy höchstselbst auf Haydns Wohl. Auch Fürst Starhemberg sprach bei einem festlichen Abendessen am Esterházy-Hof einen Trinkspruch auf ihn aus. Bei diesem Festdiner von 1802 wurde Haydns gesellschaftliches Ansehen überhaupt deutlich gemacht, denn obwohl das Mahl von Musik begleitet wurde, musste sich Haydn nicht darum kümmern. Im Gegenteil: Er speiste mit dem Hochadel am Fürstentisch.
Haydn blieb dem Haus Esterházy verbunden, der Gesellschaftswandel innerhalb seines Berufsfeldes zeichnet sich jedoch in seiner Biographie ab. Seinen größten und letzten Triumph feierte er im Jahr 1808: Bei einer Aufführung seiner „Schöpfung“ wird er groß gefeiert.
Zum Schluss wollen wir noch lesen, welches Resümee Haydn laut Dies gegen Ende seines Lebens zog:
Seine größten Werke seien erst möglich gewesen, als er unter Nikolaus II. Esterházy freier und unabhängiger sein konnte – in einem Satz beurteilte der greise Meister nicht nur sein Schaffen, sondern fasste auch die Zeichen seiner Zeit zusammen.