Acide
Eine Oper für Esterházy - Haydns „Acide“
Am 10. Jänner 1763 heiratete der Sohn von Fürst Nikolaus I. Esterházy. Zu Ehren des Brautpaares wurde in Eisenstadt ein rauschendes Fest gefeiert. Joseph Haydn schrieb dafür das Werk „Acide“ – er würde es später als seine „aller Erste Oper“ bezeichnen. Doch wie feierte man bei Esterházy eine Hochzeit, wieso ließ man extra eine Oper dafür schreiben und wieso blieben Haydns Musiktheaterwerke so lange unbeachtet? Wir rekonstruieren die Uraufführung von „Acide“, entdecken adelige Festkultur und fragen nach dem „Opernkomponisten“ Haydn.
Fürstliche Feste – festliche Opern
Als Fürst Paul II. Anton Esterházy 1762 verstarb, trat sein Bruder Nikolaus I. das Erbe an. Joseph Haydn hatte Glück, denn der neue Fürst übernahm die Musikkapelle seines verstorbenen Bruders. Fürst Nikolaus I. läutete eine neue Ära ein: Rauschende Feste und spektakuläre Theateraufführungen würden schon bald in der neuen Residenz in Eszterháza stattfinden. Doch vorerst blieb Eisenstadt Zentrum der esterházy’schen Prachtentfaltung und im Zuge der Hochzeit seines Sohnes Anton im Jänner 1763 konnte Nikolaus schon bald seine Gastfreundschaft beweisen. Für das mehrtägige Festprogramm war auch eine Oper vorgesehen – natürlich geschrieben von Vizekapellmeister Joseph Haydn.
Eine Hochzeitsfeier in Eisenstadt und eine „Festa teatrale“
Opernaufführungen waren zur Zeit der frühen Dienstjahre Haydns noch keine eigenständigen Veranstaltungen, denn einen regelmäßigen Theaterbetrieb gab es damals am fürstlichen Hof (noch) nicht. Opern waren vielmehr Teil der adeligen Festkultur.
Wie ein solches Fest bei Esterházy von statten ging, darüber berichtet ein zeitgenössischer Zeitungsartikel des „Wienerischen Diariums“ (die spätere „Wiener Zeitung“). Der Festablauf der Hochzeit von Anton Esterházy, dem Sohn des Fürsten Nikolaus, und Maria Theresia Gräfin Erdödy ist uns daher bis heute genau überliefert.
Die tatsächliche Zeremonie fand am 10. Jänner 1763 in Wien statt. Nach der Trauung speiste die Hochzeitsgesellschaft mit dem Kaiserpaar zu Mittag, bevor sie noch am selben Tag nach Eisenstadt reiste. Die Straße von Wimpassing bis Eisenstadt war dabei durchgehend beleuchtet und auch Schloss Esterházy wurde prächtig illuminiert. Vor dem Schloss wurde das Brautpaar an einer Ehrenpforte unter Pauken und Trompeten von der Garde empfangen und anschließend hielt man in der Schlosskapelle ein Te Deum. Das Abendessen begleitete ein Schauschießen der Garde.
Der nächste Tag, der 11. Jänner, begann mit einem Gottesdienst, außerdem wurde Speis und Trank ans Volk ausgegeben. Nach der Mittagstafel war es endlich so weit:
heißt es im Wienerischen Diarium. Die fürstliche Musikkapelle, alle in Uniform, gaben unter der Leitung Joseph Haydns die Oper „Acide“ zum Besten. Doch das Festprogramm war damit noch lange nicht aus, denn am Abend wurde noch ein Maskenball veranstaltet.
Am letzten Festtag, dem 12. Jänner, stand nach der Mittagstafel die Aufführung einer „Opera buffa“, einer lustigen Oper, an. Abends führten Artisten und Gaukler Kunststücke vor und den krönenden Abschluss der Festivitäten bildete ein weiterer, noch größerer Maskenball. Manche Gäste wechselten sogar mehrmals ihr Kostüm und der Schlossgarten war festlich beleuchtet.
Anhand der Festbeschreibung aus dem „Wienerischen Diarium“ erkennt man deutlich, wie sehr hier die Oper „Acide“ lediglich ein Teil des ausgedehnten Festprogramms war. Das Werk wird genau genommen im dazugehörigen Textbuch auch nicht als „Oper“ bezeichnet, sondern als „Festa teatrale“ – als „Festtheater“ sozusagen. Diese Bezeichnung für Musikdramen wurde bereits im 17. Jahrhundert am Kaiserhof verwendet. Charakteristisch ist der Huldigungscharakter, denn solche „Festopern“ wurden häufig aus Anlass des Geburtstags oder ähnlich hohen Tagen zu Ehren eines Herrschers komponiert. Meist bestanden sie aus einem Akt und behandelten einen Stoff aus der griechischen Mythologie. Dies gilt auch für Haydns „Acide“.
Wovon handelt „Acide“?
Der Librettist Giovanni Ambrogio Migliavacca, ein Schüler des Hofdichters Metastasio, war für den italienischen Text der Oper verantwortlich. Er orientierte sich bei der Handlung ebenfalls an einem antiken, griechischen Stoff. Das Stück kann man dem Inhalt nach auch als „Pastorale“ bezeichnen, also als Schäferstück. Diese spielen meist im utopischen „Arkadien“ und handeln von mythologischen Nymphen, Nereiden oder Hirten und ihren amourösen Verwicklungen. Besonders die Pastoraloper wurde gegen Ende des 17. Jahrhunderts zum bevorzugten musikalischen Unterhaltungsgenre des Adels.
Auch unser titelgebender Held Acide ist ein Schäfer. Die Nereide oder Meeresnymphe Galatea hat aus Liebe zu ihm das Meer verlassen. Der einäugige Zyklop Polifemo begehrt Galatea ebenfalls, doch sie weist ihn ab. Glauce, Galateas Freundin, fürchtet um das Liebespaar und möchte die beiden Liebenden zur Flucht überreden. Doch Galatea und Acide wollen sich nicht trennen. Glauce verlacht die närrischen Verliebten.
Polifemo trifft auf Glauce und diese erlaubt sich einen Scherz mit ihm: Sie heuchelt ihm Liebe vor. Der Zyklop ist zwar verwundert, doch er glaubt den Schmeicheleien.
Währenddessen bittet Galatea ihren Acide, mit ihr gemeinsam zu fliehen. Glauce rät ihnen, sich getrennt zu verstecken, bis Polifemo eingeschlafen ist. Doch Polifemo entdeckt Galatea und will sie unbedingt für sich gewinnen. Die Nymphe wehrt ab, sie hasse den Zyklopen. Seine Warnungen, dass er den rauchenden Berg Ätna stürzen und alle Meeresgottheiten, auch Galatea, vernichten könne, nimmt sie nicht ernst. Polifemo wendet sich nun an Glauce, sie solle ihn stattdessen heiraten. Doch Glauce gibt zu, Polifemo nie geliebt zu haben.
Nun schwört der Zyklop Rache und mit einem Felsbrock erschlägt er den ahnungslosen Acide. Als Galatea vom Tod ihres Geliebten erfährt, ist sie untröstlich. Sie ruft die Furien zur Rache an Polifemo auf, doch wird nicht erhört. Nun fleht sie die Götter an, ihr Acide zurückzugeben, sonst möchte sie sterben. Anschließend verliert sie das Bewusstsein.
Heitere Musik kündigt die Wendung zum Guten an. Die Nereide Tetide erscheint und erweckt Acide wieder zum Leben. Sein vergossenes Blut wird zum Fluss, er selbst zum Flussgott. Zum Abschluss singen Acide, Galatea, Glauce und Tetide ein Quartett und feiern den Triumph der Liebe.
Da die Handlung trotz des guten Endes einen ernsthaften Charakter hat, wird „Acide“ häufig als „Opera seria“, also als ernste Oper, bezeichnet. Dagegen gibt es auch die Gattung der „Opera buffa“, der lustigen Oper. Eine solche wurde eben auch am dritten Tag der Hochzeitsfeierlichkeiten 1763 gespielt, leider ist deren Titel und Inhalt unbekannt.
Musik für das Esterházy-Ensemble oder: Haydn, der Opernkomponist?
„Acide“ ist ein einaktiges Werk, das nur noch zu einem Teil erhalten ist. Die Ouvertüre besteht aus drei Sätzen und ist in D-Dur notiert. Vier Arien (Sologesangsstücke, die dem Gefühlsausdruck dienen) und die meisten Rezitative (Sprechgesangstücke, die die Handlung vorantreiben) gingen verloren. Das bis heute vorhandene Libretto (Textbuch) gibt aber Aufschluss darüber, dass es Zwischenaktsstücke nach dem Tod Acides und vor der „Wendung zum Guten“ gegeben haben muss. Die Arien sind in der sogenannten „da-capo-Form“ gehalten, das heißt, dass sie aus drei Teilen bestehen, wobei der dritte Teil eine Wiederholung des ersten Teils darstellt.
Haydn musste sich in seiner Komposition an die Voraussetzungen am Esterházy-Hof anpassen. Er konnte also nicht einfach nach Belieben drauf los komponieren, sondern musste das ihm zu Verfügung stehende Musiker:innenensemble berücksichtigen. Die Besetzung der Rollen und die Instrumentation wurden also auf die fürstliche Musikkapelle zugeschnitten. Der Tenor Carl Friberth sang den Acide, die Sopranistin Anna Maria Scheffstoss die Galatea, Melchior Griessler gab als Bass den Polifemo, Barbara Fux-Dichtler die Sopranrolle der Glauce und die Altistin Eleonore Jäger verkörperte die Tetide. An Instrumenten konnten 1763 eine Flöte, zwei Oboen, ein Fagott, zwei Hörner, eine erste und zweite Violine, eine Viola, ein Violoncello und ein Kontrabass gehört werden.
Zehn Jahre nach der Uraufführung wurde „Acide“ wieder aufgenommen. Auch diese Fassung von 1773/74 ist nur teilweise erhalten, doch sie zeigt, wie sehr sich Haydn an die Gegebenheiten des fürstlichen Hofes anpassen musste. Da Eleonore Jäger für die Rolle der Tetide nicht mehr zur Verfügung stand, war eine Adaptierung dieses Parts nötig. Haydn ersetzte die Alt-Rolle der Tetide mit dem Meeresgott Nettuno, der von dem Bass Christian Specht gesungen wurde. Außerdem ist erkennbar, dass das esterházy’sche Orchester größer geworden war, denn Haydn notierte nun bereits zwei Fagotte. Die enge Bindung seiner Musiktheaterwerke an die esterházy’schen Voraussetzungen sprach Haydn später auch selbst in einem Brief an, als er gebeten wurde, für Prag eine Oper zu schreiben:
Dass gerade die Opernwerke Haydns so sehr auf die Bedürfnisse des esterházy’schen Theater- und Musikbetriebs und den Geschmack des dortigen Publikums zugeschnitten waren, ist auch ein Grund, warum Haydns Opern heute nicht mehr so bekannt sind. Fürst Nikolaus I. baute zwar in seiner neuen Residenz Eszterháza ab 1776 den Opernbetrieb aus und das Programm stand den großen europäischen Opernhäusern um nichts nach, doch als „Opernkomponist“ wurde Haydn nicht berühmt – und das bedauerte er:
Haydns Wunsch, auch als Opernkomponist bekannt zu sein, lag wohl auch daran, dass die Vokalmusik traditionell höher gewertet wurde als die Instrumentalmusik. Kurz: Komponisten, die gute Opern schrieben, galten erfolgreich. Haydn ist uns heute vor allem durch seine Streichquartette und Symphonien bekannt, in letzter Zeit werden aber auch seine Opern vermehrt wiederentdeckt. Doch dazu später mehr.
Ein Fest für Augen und Ohren: „Acide“ und das Gesamtkunstwerk Oper
Die Uraufführung von „Acide“ im Jahr 1763 war sicherlich nicht nur ein musikalisches Erlebnis. Barocke und spätbarocke Opernproduktionen lebten nicht nur von der Musik allein, sondern auch von fantasievollen Kostümen, einem prachtvollen Bühnenbild und spektakulären Bühneneffekten. Alles sollte aufeinander abgestimmt sein und einander ergänzen – ein multimediales Erlebnis also.
Auch „Acide“ war ein solches Gesamtkunstwerk. Die Kulissen fertigte wahrscheinlich der Bühnendekorateur und Architekt Girolamo Le Bon, der seit Juli 1762 am fürstlichen Hof als Theatermaler angestellt war. Le Bon hatte davor bereits in verschiedenen deutschen Städten gearbeitet, war Operndirektor in Preßburg gewesen und hatte von 1756 bis 1761 die Professur für Architektur und Perspektive an der Akademie der schönen Künste in Bayreuth inne. Rechnungen belegen eine Extraanfertigung von Kostümen durch den Wiener Garderobier Georg Spöck.
Mit „Acide“, die Haydn als seine „aller Erste Oper“ bezeichnete, war der Grundstein für prachtvolle zukünftige Opernaufführung am Hof der Esterházy gelegt. Besonders die neue Residenz Eszterháza, das „ungarische Versailles“, sollte zum Zentrum des esterházy’schen Musiktheaterbetriebs werden. So mancher Opernbesucher war überwältigt von dem, was ihm dort geboten wurde. Ein anonymer Reiseberichterstatter drückte es 1784 so aus:
„Acide“ kehrt zurück: Wiederaufnahme beim „Herbstgold“ Festival 2023
Lange mussten Haydns Opern hinter seinen Oratorien, Symphonien und Streichquartetten zurückstecken. Erste ernstzunehmende Versuche, sein Opernschaffen ins Scheinwerferlicht zu rücken, wurden im Zuge des Haydn-Jahres 1982 unternommen. Schließlich wurde „Acide“ im Jahr 2009 unter Dirigent Manfred Huss von der Haydn Sinfonietta Wien eingespielt. Doch erst in jüngster Zeit kehrte das Werk auf die Bühne zurück – und zwar an seinem Uraufführungsort, dem Eisenstädter Schloss.
Am 9. September 2023 wurde das Werk im Zuge des „Herbstgold“ Festivals neu aufgeführt. Vorgetragene Zwischentexte ersetzten dabei die verloren gegangenen Musikstücke, Regie führten Carolin Pienkos und Cornelius Obonya. Letzterer interpretierte auch die Zwischentexte. Für die Musik war das Originalklangensemble Barucco unter der Leitung von Heinz Ferlesch verantwortlich. Es begeisterte nicht nur musikalische Darbietung: Die fantasievollen Kreationen der Kostümbildnerin Laura Madge Hormann und der leuchtend rote Vulkan Ätna im Bühnenbild ergänzten die Aufführung und wurden von Kritikern gelobt. „Acide“ war also auch im Jahr 2023 ein Fest für Ohren und Augen – ganz im Sinne des glanzvollen Gesamtkunstwerks, dass Haydn 1763 erstmalig seinem Publikum präsentiert hatte.