Schöpfung
Die Schöpfung – Joseph Haydns Meisterwerk
Im Jahr 1795 kehrte Joseph Haydn endgültig von seinen Englandreisen zurück. Diese Heimkehr läutete seine späte Schaffensphase ein, die bis etwa 1803 andauern sollte. In dieser Zeit war der Meister hochproduktiv: Er stand nicht nur in den Diensten des Fürsten Nikolaus II. Esterházy, sondern komponierte auch außerhalb des Fürstenhofes. So entstand von 1797 bis 1798 die „Schöpfung“ (Hob. XXI:2), die zum Teil in Eisenstadt geschrieben wurde. Das Werk zählt zu Haydns größtem Erfolg und eroberte Europa trotz der herrschenden napoleonischen Kriege im Sturm. Wir rekonstruieren die Entstehung dieses Meisterwerks, hören uns in die musikalische Erschaffung der Welt hinein und finden heraus, was die „Schöpfung“ mit einem burgenländischen Volkslied zu tun hat.
Händel, Haydn und van Swieten: Die Entstehung der „Schöpfung“
Haydn machte sich in den frühen 1790ern zu zwei Englandreisen auf und brachte musikalische Erlebnisse mit. In London wurde regelmäßig dem großen Barockkomponisten Georg Friedrich Händel, der in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in England wirkte, mit Konzerten gedacht. Händel gilt auch heute noch als Meister des Oratoriums – denken wir nur an seinen „Messias“ mit dem weltberühmten „Hallelujah-Chor“. Die rege Händel-Musikpflege in England hinterließ einen großen Eindruck bei Haydn. Wer ihm aber den entscheidenden Anstoß gab, die Erschaffung der Welt als Oratorium zu vertonen, können wir leider nicht mehr genau nachvollziehen. Einen englischen Text für die „Schöpfung“ erhielt Haydn aber wohl noch in England, angeblich sei das Libretto ursprünglich sogar für Händel bestimmt gewesen.
Zurück in Wien fand Haydn in dem Baron und Diplomaten Gottfried van Swieten nicht nur einen Gönner, sondern auch einen Textbuchübersetzer. Van Swieten, der im „Jahrbuch der Tonkunst von Wien und Prag“ 1796 als „Patriarch der Musik“ bezeichnet wurde, organisierte zur Finanzierung des Projekts eine Vereinigung zahlungskräftiger Adeliger. Haydn nannte sie in einem Brief später die „Associrten H.[errn] Cavaliers“. Unter diesen „Cavaliers“ war auch Fürst Schwarzenberg, in dessen Stadtpalais die Uraufführung stattfand.
„Die Schöpfung“ ist das Produkt einer engen Zusammenarbeit zwischen Haydn und van Swieten. Aus späteren Berichten des schwedischen Diplomaten Fedrik Samuel Silverstolpe, der den Komponisten im Jahr 1797 kennenlernte, erfahren wir, wie diese gemeinsame Arbeit ablief:
Doch Haydn arbeitete nicht nur in der Wiener Krügerstraße, sondern bedingt durch seinen Posten als Kapellmeister der Fürsten Esterházy auch in Eisenstadt. Dort stand das Clavichord, von dem er später gesagt haben soll, dass er den „größten Theil“ seiner „Schöpfung“ darauf komponiert habe. Es befindet sich heute im Royal College of Music in London.
Überhaupt war Haydn in seiner Spätphase sehr umtriebig: Neben den vom Fürsten geforderten Messen zur Namensfeier der Fürstin entstanden auch einige seiner bekanntesten Werke, darunter das Oratorium „Die Jahreszeiten“ (Hob. XXI:3) sowie das „Kaiserquartett“ (Hob. III:77). Die Schaffenskraft des doch schon älteren Komponisten verwunderte anscheinend dessen Biograph Georg August Griesinger, schrieb dieser doch:
Haydn selbst soll seine Arbeit an der „Schöpfung“ sogar als religiöse Erfahrung bezeichnet haben:
„Die Schöpfung“ war schließlich im Mai 1798 fertig, wie eine Meldung an Fürst Schwarzenberg bezeugt. Für seine Arbeit erhielt Haydn 2250 Gulden von den „Cavaliers“ – zum Vergleich: Sein Jahresgehalt als Kapellmeister unter Fürst Esterházy belief sich im Jahr 1797 auf 1700 Gulden. Damit verdiente Haydn bereits sehr gut.
Worum geht es in der „Schöpfung“?
Als sogenanntes Oratorium handelt es sich bei der Schöpfung um ein Werk mit geistlicher Handlung, das konzertant aufgeführt wird. Für den Inhalt legte sich das Duo Haydn und van Swieten einer der wohl bekanntesten Erzählungen des Alten Testaments zugrunde: Die Erschaffung der Welt.
Das Werk ist in drei Teile gegliedert. Teil I und II behandeln die sechstägige Schöpfungsgeschichte gemäß des Alten Testaments. Zunächst herrscht aber in der Einleitung noch das buchstäbliche Chaos: Die Welt existiert noch nicht. Das formlose „Davor“ wird musikalisch vorgestellt. Dann erst beginnt die Schöpfungserzählung. Die Tage eins bis vier, in welchen Himmel und Erde, das Licht, die Gewässer, die Landschaft sowie die Gestirne entstehen, bilden den ersten Teil.
Weiter geht es im zweiten Teil mit den Tagen fünf und sechs. Es werden die Tiere und Menschen erschaffen.
Der dritte Teil hält sich nicht so eng an die Bibelvorlage, sondern erzählt von der ersten glücklichen Zeit des Menschenpaares Adam und Eva. Einige Passagen erinnern hier an das epische Gedicht „Paradise Lost“ von John Milton. Der Sündenfall, der eigentlich ein wichtiger Bestandteil der Schöpfungsgeschichte sowohl in der Bibel als auch bei Milton ist, wird bei Haydn und van Swieten jedoch ausgelassen.
Als Erzähler der „Schöpfung“ fungieren die drei Engel Gabriel, Raphael und Uriel. Sie sind jedoch nicht nur Berichterstatter, sondern kommentieren auch soeben Erschaffenes und lobpreisen sich durch das Werk. Unterstützt werden sie dabei von einem Chor. Im dritten Teil kommen Adam und Eva zu Wort, die von ihrer gegenseitigen Liebe und der Verehrung zu Gott singen.
Bevor es zum unheilvollen Sündenfall samt Schlange und verbotener Frucht kommt, ist die „Schöpfung“ zu Ende – nur Uriels Warnung an das Menschenpaar, sich nicht der Verführung hinzugeben, verweist darauf. Mit einem Lobeschor und dem finalen „Amen“ schließt das Werk.
Für welche Instrumente und Stimmen wurde die „Schöpfung“ geschrieben?
Haydn schrieb die Schöpfung für drei Gesangssolist:innen (Sopran, Tenor, Bass), einen vierstimmigen Chor und ein Orchester. Letzteres setzt sich wie folgt zusammen: drei Querflöten, zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Fagotte, ein Kontrafagott, zwei Waldhörner, zwei Trompeten, drei Posaunen, Pauken, erste und zweite Violine, Viola, Violoncello, Kontrabass und Cembalo bzw. Hammerklavier. Haydn selbst wünschte sich angeblich eine große Besetzung für sein Werk:
Die Solist:innen singen die drei Engel Raphael (Bass), Uriel (Tenor) und Gabriel (Sopran) sowie das Menschenpaar Adam (Bass) und Eva (Sopran). Meistes singt derselbe Sopran Gabriel und Eva, genauso übernimmt derselbe Bass oft Adam und Raphael. Trotz fünf Rollen kommen also häufig nur drei Solist:innen zum Einsatz. Diese Art der Rollenbesetzung mit drei Sänger:innen ist auch für die Aufführungen unter Haydns Leitung verbürgt.
Welche Musikstücke der „Schöpfung“ sind die bekanntesten?
Als besonders beeindruckender Moment der Schöpfung gilt die Ouvertüre oder Einleitung mit der „Vorstellung des Chaos“ und der anschließenden „Erschaffung des Lichts“.
Mit der für die damalige Zeit noch ungewöhnlichen „Chaosmusik“ waren manche Hörer:innen überfordert. Spätere Kritiker sahen darin sogar einen Vorgriff auf romantische Werke und fühlten sich an Richard Wagners Oper „Tristan“ erinnert. Wenn das Licht bei Haydn dann schließlich zum ersten Mal durch die Dunkelheit schießt, so tut es das im wahrsten Sinne in „strahlendem“ C-Dur. Für die Zuhörer:innen der Uraufführung im Jahr 1798 war dieser Moment einem Bericht zufolge so ergreifend, dass das Orchester für einige Minuten nicht weiterspielen konnte.
Eine der beliebtesten Arien aus der „Schöpfung“ ist die des Uriels mit dem Titel „Mit Würd‘ und Hoheit angetan“. Uriel singt darin über die Erschaffung der Menschen. Möglicherweise ist manchen unserer Leser:innen aus dem Burgenland der Anfang der Arie vertraut: Die Melodie ähnelt stark einer 1910 aufgezeichneten burgenländischen Version des Volksliedes „Es steht ein Baum im tiefen Tal“. Hatte Haydn dieses Lied vielleicht einmal in Eisenstadt gehört und nutzte die Melodie bewusst für seine Arie? Oder war stattdessen die Arie so beliebt, dass sie sogar ihren Weg in die Volksmusik fand? Das muss leider Spekulation bleiben.
Von den Chorstücken ist bis heute das hymnische „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ das populärste.
Was macht die Musik der „Schöpfung“ aus?
Neben kunstfertigen Arien, hymnischen Chören und volkstümlichen Motiven hören wir in der „Schöpfung“ auch sogenannte Tonmalerei. Unter Tonmalerei versteht man die Nachahmung von Natur- oder Kulturerscheinungen – denken wir an „Donnergrollen“ durch Pauken oder „Vogelgezwitscher“ durch Flöten.
Die Schöpfung bietet für diese Art der musikalischen Gestaltung allerhand Anlass: Bei der Vorstellung von Wetterphänomenen werden Sturm und eben Donner nachgeahmt, die Erschaffung der Vögel wartet mit einem musikalischen Adlerflug sowie Gezwitscher auf und der Löwe feiert sein Dasein bei der Erschaffung der Landtiere mit lautem Gebrüll. Sogar Sonne, Mond und Sterne wurden von Haydn vertont: Den Sonnenaufgang stellt ein immer lauter werdender Marschrhythmus dar, das Mondlicht begleiten sanfte Streicher und ein leises Tremolo flimmert wie das Licht der Sterne. Selbst der C-Dur-Akkord, der das Licht signalisiert, kann als Tonmalerei bezeichnet werden.
Diese illustrierende Musik erwähnt auch Joseph Richter in seinen satirischen Schriften – den „Eipeldauer-Briefen“. Der „Eipeldauer“ berichtet von der ersten öffentlichen Aufführung der „Schöpfung“ wie folgt:
„Es lebe Vater Haydn!“ – Die ersten Aufführungen der „Schöpfung“
Fürst Schwarzenberg, der zu der Gesellschaft der finanzierenden „Cavaliers“ gehörte, stellte sein Palais auf dem Wiener Mehlmarkt für die ersten Aufführungen der „Schöpfung“ zur Verfügung. Die Uraufführung fand am 30. April 1798 statt. Bereits die Proben dürften bei den Mitwirkenden und Zuhörenden derartige Begeisterung ausgelöst haben, dass sich dies herumsprach. Das Gedränge an den Aufführungstagen im April und Mai war jedenfalls so groß, dass Fürst Schwarzenberg ordnende Maßnahmen ergreifen musste. Haydn dirigierte bei diesen Terminen selbst, die Zuhörerschaft bestand großteils aus Adeligen.
Von Haydns Dirigat erzählt eindrucksvoll ein Bericht Fredrik Silverstolpes:
Die musikalische Erschaffung des Lichts habe im Wiener Publikum zu ausgelassenem Jubel geführt – Silverstolpe erinnerte sich:
Die erste öffentliche Aufführung der Schöpfung fand am 19. März 1799 im alten Burgtheater auf dem Wiener Michaelerplatz statt. Der Andrang war groß, schon einen Monat vor Aufführungsbeginn war das Konzert beinahe ausverkauft. Joseph Richter gibt uns in seinen „Eipeldauer-Briefen“ einen Eindruck von diesem Tag:
Im „Eipeldauer“ lesen wir auch sehr eindrucksvoll von der Stimmung, die damals im Hoftheater geherrscht hatte:
Die Begeisterung, die durch die Schöpfungsaufführung nicht nur beim „Eipeldauer“ ausgelöst wurde, zeigt sich im letzten Satz am besten:
Der schwedische Musiker Johan Fredrik Berwald berichtet in seinen Memoiren sogar von Rufen aus dem Publikum, die man mit modernen Fan-Gesängen vergleichen kann:
Noch zu Lebzeiten Haydns wurden auch „Schöpfungs“-Benefizkonzerte veranstaltet, teilweise unter persönlicher Leitung des Komponisten. Haydn erhielt für diese unentgeltlichen Aufführungen die zwölffache goldene Bürgermedaille vom Magistrat der Stadt Wien (1803) und später das Ehrenbürgerrecht (1804).
„Die Schöpfung“ für alle: Ein Werk erobert Europa
Die Schöpfung wurde schon bald in ganz Europa mit Übersetzung in die jeweilige Landessprache aufgeführt – und das trotz der zu dieser Zeit herrschenden Koalitions- bzw. napoleonischen Kriege. Der Haydn-Experte Georg Feder bezeichnet daher die Schöpfung als „[…] geradezu das musikalische Symbol der trotz aller Kriegswirren fortbestehenden gemeinsamen europäischen Kultur.“
Sogar in Frankreich, dem militärischen Gegner Österreichs, führte man das Werk um den Jahreswechsel 1800/1801 unter großem Beifall auf. Auf dem Weg zu einem solchen Konzert am 24. Dezember 1800 wurde auf Napoleon Bonaparte ein Attentat verübt, das auch Tote und Verletzte forderte. Die Aufführung wurde trotzdem wie geplant durchgeführt.
Mit der Frage, warum die „Schöpfung“ so einen durchschlagenden Erfolg hatte, beschäftigten sich schon einige Musikwissenschaftler. Die Erklärungsansätze sind unterschiedlich:
Die „Schöpfung“ fußt zwar auf einem religiösen Inhalt, trägt aber auch aufklärerisch-tolerante Züge. Das Werk entstand in einer Zeit, in der alte gesellschaftliche, religiöse und politische Strukturen hinterfragt wurden. „Die Schöpfung“ geht einen sehr gemäßigten Weg: Nicht der Sündenfall und die Erlösung stehen dabei im Vordergrund, stattdessen wird die Schönheit des Diesseits gepriesen. Musikwissenschaftler wie Martin Stern sehen darin den weitreichenden Erfolg des Werks, denn mit der fröhlichen, weltbejahenden Stimmung konnten Menschen verschiedener Glaubens- und Werterichtungen etwas anfangen.
A. Peter Brown erklärt sich die große Popularität vor allem anhand der Kombination aus volkstümlicher Musik und gelehrter Kunst. In der Schöpfung ist also auch in musikalischer Hinsicht für jeden was dabei: Eingängige Melodien stehen gleichwertig neben Experimenten wie der „Vorstellung des Chaos“, hymnische Lobeschöre finden genauso ihren Platz wie Nachahmungen von Tierlauten.
Und wie schätzte Haydn selbst seine „Schöpfung“ ein? Zu seinem Biographen Georg August Griesinger soll er gesagt haben:
Er hat Recht behalten: Bis heute zählt die „Schöpfung“ zu Haydns meistaufgeführten Werken.