Als Haydns Kopf gestohlen wurde
Am 31. Mai 1809 verstirbt Joseph Haydn in Wien. Er wird am nächsten Tag beigesetzt, doch seine letzte Ruhe soll nicht lange ungestört bleiben. Zwei Männer lassen den Sarg heimlich nur wenige Tage später wieder ausgraben und entwenden den Schädel. Elf Jahre später lässt Fürst Nikolaus II. Esterházy das Grab erneut öffnen und findet nur den Körper – und die leere Perücke. Damit beginnen die Ermittlungen rund um den Kopf von Joseph Haydn, der erst nach 145 Jahren wieder mit den übrigen Gebeinen vereint werden soll. Wir rollen diese Kriminalgeschichte neu auf.
Ein Grab ohne Schädel
Es ist etwa zwei Uhr nachmittags am 30. Oktober 1820, als Fürst Nikolaus II. Esterházy sich auf dem Hundsthurmer Friedhof in Wien einfindet. Elf Jahre nach dem Tod seines Kapellmeisters möchte er nun seinem langgehegten Wunsch nachkommen, die Gebeine Haydns nach Eisenstadt zu überführen. Die Totengräber schreiten zur Tat: Der Sarg wird ausgehoben, der Deckel entfernt. Neugierige Köpfe beugen sich hinunter, willig, die sterblichen Überreste Haydns wohl ein letztes Mal zu betrachten. Doch was Fürst Esterházy und ihre Begleiter da sehen, ist mehr als morbid: Der Schädel ist weg – nur die Perücke liegt noch da. Sofort verständigt der Fürst die Polizei. Ermittlungen beginnen. Was war geschehen?
Der Tathergang
Joseph Haydn stirbt am 31. Mai 1809 während der französischen Besatzung Wiens unter Napoleon. In seinem Testament hatte er sich ausdrücklich ein Begräbnis erster Klasse gewünscht, doch dazu soll es aufgrund der Kriegssituation nicht kommen. Gleich am nächsten Tag wird er am Hundsthurmer Friedhof in Wien, dem heutigen Haydnpark, bestattet. Nur wenige Gäste wohnen der Trauerfeier bei – unter ihnen befindet sich ein Mann namens Joseph Carl Rosenbaum. Dieser schreibt seit 1797 gewissenhaft ein Tagebuch und notiert mittlerweile Ereignisse zu jedem Tag. So auch am 1. Juni 1809, als er Haydns Begräbnis besucht:
„Nachmittags um 4h mit Rodler zum Leichenbegräbnis Haydns. Er lag in seinem großen Zimmer schwarz gekleidet, gar nicht entstellt […]. Nach 5 h wurde Haydn in einem eichenen Sarg in die Gumpendorfer Kirche geführt, da dreimal herumgetragen, eingesegnet und in den Kirchhof vor die Hundsthurmer Linie geführt. Nicht ein Kapellmeister Wiens begleitete seine Leiche.“
So weit, so gut. Doch Rosenbaums Tagebucheintrag geht noch weiter:
„Nachdem das Grab zugemacht war, sprach ich mit unserem würdigen, von Franzosen ganz ausgeplünderten Jakob Demuth, einem Österreicher, ein etwas beleibter, großer, jovialer Mann, wegen Abnahme dieses in jeder Rücksicht so verehrungswürdigen Kopfes, bestimmte alles genau, nahm die Abrede auf morgen abends, und die Übergabe auf Sonntag früh.“.
Rosenbaum hat also einen Plan: Er will Haydns Kopf heimlich aus dem Grab entwenden und besticht dafür den Totengräber Jakob Demuth. Sein wichtigster Komplize ist ein Mann namens Johann Nepomuk Peter.
Nur vier Tage nach Haydns Beisetzung war der Betsatter Jakob Demuth bereits seinem Auftrag nachgekommen: Er hatte den Sarg des Komponisten wieder ausgegraben und den Kopf abgeschnitten. Am 4. Juni 1809 notiert Rosenbaum in seinem Tagebuch die Abholung des Schädels:
„Wir fuhren zu der Hundsthurmer Linie, ich stieg aus und übernahm von Jakob Demuth Haydns unschätzbarste Reliquie. Es roch heftig. Als ich den Pack im Wagen hatte, musste ich mich übergeben, der Gestank ergriff mich zu sehr.“
Anschließend lassen Rosenbaum und sein Kumpan Peter den Kopf präparieren:
„Wir fuhren ins allgemeine Spital. Ich blieb bei der Sezierung. Der Kopf war schon ganz grün, aber doch noch sehr kennbar. Ewig bleibt mir der Eindruck, welcher dieser Anblick auf mich machte. Eine Stunde dauerte dieselbe; das Gehirn, dessen Masse groß war, roch am entsetzlichsten.“
Zur Aufbewahrung wird ein Behältnis für den Totenschädel Haydns angefertigt. Peter verwahrt das Kästchen samt Inhalt vorerst bei sich zu Hause auf.
Die Täter
Wer waren Joseph Carl Rosenbaum und sein Komplize Johann Nepomuk Peter?
Rosenbaum kannte Haydn persönlich, denn bis 1800 war er wie der Komponist am Hof des Fürsten Nikolaus II. Esterházy angestellt und arbeitete als Kanzlist und Stallrechnungsführer. Damals schrieb er bereits fleißig Tagebuch und daher wissen wir, dass er Haydn als seinen Freund bezeichnete. Als Rosenbaum sich in die Sängerin Therese Gassmann verliebte, stieß er auf Widerstand beim Fürsten, der ihm die Erlaubnis zur Heirat nicht geben wollte. Haydn versprach sogar, sich für seinen Freund Rosenbaum bei Nikolaus II. einzusetzen, allerdings vergeblich. Erst nach jahrelangem Hinauszögern seitens des Fürsten erhielt Rosenbaum die Heiratserlaubnis – einhergehend mit einer Entlassung. Merklich gekränkt vermerkte er dazu in seinem Tagebuch:
„Heute bekam ich vom Fürsten ein Attestat, sehr kalt, das habe ich nach so vielen Dienstjahren nicht verdient.“
Johann Nepomuk Peter hingegen war der der Verwalter des k. k. niederösterreichischen Provinzialstrafhauses.
Rosenbaum und Peter werden mit der posthumen Enthauptung Haydns übrigens zu Wiederholungstätern. Etwas mehr als ein halbes Jahr davor hatten sie – auch damals unter der Mithilfe des Totengräbers Jakob Demuth – im November 1808 die sterblichen Überreste der Schauspielerin Elisabeth Roose exhumiert und ihren Schädel geraubt. Haydn wurde wie die Schauspielerin auf dem Hundsthurmer Friedhof beigesetzt, und zwar ganz in ihrer Nähe. Rosenbaum schreibt dazu in sein Tagebuch: „Er [Haydn, Anm.] liegt dem Löschenkohl zur Rechten, an dessen linken Seite die Roose ruht“. Dass „die Roose“ dort neben Haydn allerdings schon kopflos lag – durch Rosenbaum selbst verschuldet – fand in diesem Eintrag keinen Platz.
Die Tatmotive
Peter und Rosenbaum stehlen Haydns Schädel nicht für Geld oder Ruhm – sie sind von wissenschaftlichem Elan getrieben!
Im Wien um 1800 erfreut sich eine Theorie besonderer Beliebtheit, nämlich die sogenannte „Gall’sche Schedllehre“. Benannt ist sie nach ihrem Gründer, dem Arzt, Naturforscher und Anthropologen Franz Joseph Gall. Dieser ließ sich in Wien nieder, eröffnete eine Praxis und hielt Privatvorlesungen. Eine Lehre hat es auch Laien angetan: Anhand der Schädelwölbungen soll man besonders ausgeprägte Gehirnareale erkennen können. Anhand derer seien vermeintliche Rückschlüsse auf die geistige und seelische Verfassung der betreffenden Person möglich. Besonders die „Kranioskopie“, das Abtasten der Schädel, findet Beifall und es wird Mode unter höheren Wiener Gesellschaftskreisen, sich für Galls Lehren zu interessieren.
Gall sammelt Schädel, ein Teil seiner Sammlung ist bis heute im Bestand des Rollettmuseums in Baden bei Wien. Doch seine Lehren sind Kaiser Franz II. /I. schnell ein Dorn im Auge, denn sie würden gegen jegliche „Grundsätze der Religion und Religion“ verstoßen. 1802 werden Galls Vorlesungen verboten. Leidenschaftliche Befürworter der Lehre, wie Paul und Rosenbaum sie augenscheinlich waren, hält dieses Verbot nicht ab. Sie wollen es ihrem großen Vorbild gleichtun und eine Schädelsammlung anlegen.
Liest man Peters 1832 nachträglich verfasste „Erklärung, was mich verleitete und wie ich in den Besitz des natürlichen Kopfes von dem unsterblichen Thonkünstler Herrn Joseph Hayden, Doktor der Thonkunst, kam“, so bekommt man fast den Eindruck, als hätte er nur auf den Tod Haydns gewartet, um anhand seines Schädels die Gall’schen Theorien zu beweisen:
„So entging der [große] in der Thonwelt unsterbliche Joseph Haydn meiner Aufmerksamkeit nicht und als Sein phisisches Wesen der Natur ihren Tribut bezahlt und abgestorben ward, war mir daran gelegen seinen Kopf zu erhalten, hirmit meine Sammlung und die Wahrheit der Gallischen Ansicht zu bereichern.“
Tatsächlich nehmen Rosenbaum und Peter eine wissenschaftliche Untersuchung in Form einer „Kranioskopie“ an Haydns Schädel vor und sind mit dem Ergebnis zufrieden: „
„Es wurde vorzüglich der Thonsinn, wie ihn Gall in seinem Prodromus nennt, gefunden.“
Aus den Aufzeichnungen Peters und Rosenbaums geht aber auch die Verehrung hervor, die sie Haydn entgegenbringen. Peter beispielsweise rechtfertigt sich Jahre später damit, dass durch das einfache Grab „dieser große Mann“ der „Verwesung auf dem Leichenhofe“ ausgesetzt war und dass er das Andenken an den Komponisten wahren wollte. Und so gab es „nach dem Gesetze selbst kein Hindernis mehr, das Herrenlose zu ergreifen“. Dass Peter und Rosenbaum jedoch legal den Schädel an sich nahmen, wie Peter hier behauptet, war selbst nach damaliger Rechtsprechung nicht richtig – Leichenschändung wurde geahndet.
Aufgeflogen
Dass der Schädeldiebstahl so lange unbemerkt bleibt, ist reiner Zufall. Fürst Nikolaus II. Esterházy will schon ein halbes Jahr nach Haydns Tod eine Überführung der Gebeine nach Eisenstadt vornehmen, doch das Vorhaben verzögert sich.
Erst als der Duke of Cambridge im September 1820 bei Esterházy zu Gast ist, soll der Fürst durch einen Trinkspruch des Dukes an sein Vorhaben erinnert worden sein. Jedenfalls beschreibt es Peter so:
„Um diesem seine Verehrung zu bezeigen, gab Fürst Esterhazy in Eisenstadt ein Fest, bei welchem die Schöpfung von Haydn mit großer Präzision aufgeführt wurde, worüber der hohe Prinz in seiner Begeisterung sich aus sprach: ‚Wie glücklich der Mann, der diesen Haydn im Leben besessen hat und noch im Besitze seiner irdischen Reste ist.‘.“
Fürst Esterházy ist aber eben nicht im „Besitze der irdischen Reste“ Haydns. Ob tatsächlich der irrtümliche Ausspruch seines Gastes dazu geführt hatte, dass er den Plan einer Überführung wieder aufnimmt, sei dahingestellt. Fest steht, dass die erneute Exhumierung am 30. Oktober 1820 den Schädeldiebstahl auffliegen lässt.
Ein paar Tage lässt sich der Fürst nach der Exhumierung des restlichen Körpers noch Zeit mit der Fahrt von Wien nach Eisenstadt. Schließlich laufen ja sofort Ermittlungen an. Doch als nach ein paar Tagen der Schädel immer noch nicht gefunden wird, beschließt Nikolaus II., vorerst nur die übrigen Gebeine nach Eisenstadt zu bringen. Rosenbaum, fleißig die Ereignisse beobachtend, schreibt hämisch in sein Tagebuch: „Wir [Peter und Rosenbaum, Anm.] sprachen, dass der Fürst am Montag Haydns Gebeine ohne Kopf nach Eisenstadt führen ließ und dass er überall ausgelacht wird.“
Acht Tage nach der Exhumierung findet am 7. November 1829 ein feierlicher Festakt in Eisenstadt statt: In der Bergkirche wurde ein großes Trauergerüst aufgestellt, der fürstliche Hofstaat, die Leibgarde, die Franziskanermönche, die jüdische Gemeinde und die Eisenstädter Bevölkerung finden sich ein. Unter den dramatischen Klängen von Mozarts Requiem wird Haydn in der Gruft an der Südseite der Kirche beigesetzt – der Kopf fehlt jedoch immer noch.
Am selben Tag erhält Rosenbaum eine Warnung: „Stessel besuchte mich und sagte, der Fürst lauere mittels der Naderer [Geheimpolizei, Anm.] um Haydns Kopf auszuspähen.“
Unter Druck
Polizeidirektor Dumbacher kann seine heiße Spur auf Peter zurückverfolgen und stattet ihm am 11. November persönlich einen Besuch ab. Peter wehrt ab, er habe zwar eine Sammlung an Schädeln gehabt, doch die musste er bis auf zwei Exemplare aufgeben. Die Annahme, dass die Polizei anschließend bei Rosenbaum eine Hausdurchsuchung gemacht hätte und Rosenbaum den Schädel im Strohsack unter dem Bett seiner Frau versteckt hätte, ist allerdings in den Quellen nicht belegt. Daher muss wohl auch die angebliche Ausrede seiner Frau der Polizei gegenüber, sie könne das Bett nicht verlassen, weil sie menstruiere, ins Reich der Fantasie verwiesen werden.
Nach dem Verhör läuft Peter vielmehr zu Rosenbaum, der in sein Tagebuch schreibt: „Peter kam, bei welchem der Polizeidirektor Dumbacher wegen Haydns Kopf war und dem ich es streng auf die Seele band, von dem Kopf nichts zu wissen.“
Glaubt man Rosenbaum, so liegen am nächsten Tag die Nerven bei Peter bereits blank: „Nach Mittag zu Hause, hörte, dass der Poltron [franz. Angsthase, Anm.] Peter voll Ängsten da war und jammerte, und willens sei, Haydns Kopf herzugeben.“
Inzwischen hat auch Fürst Esterházy vom verdächtigten Peter erfahren. Er lässt ihm ausrichten, dass er ihn reichlich entlohnen werde, wenn er den Schädel herausgibt. Peter wendet sich also abermals an Rosenbaum, zumal er am 14. November wohl eine neuerliche Aufforderung Dumbachers erhielt, den Totenkopf auszuhändigen. Schließlich beschließen Peter und Rosenbaum, einen Schädel auszuhändigen. Die Geschichte, dass die beiden erst einen Kopf aushändigen, der sich nach Überprüfung jedoch – je nach Erzähler variierend – als der einer jungen Frau, eines jungen Mannes oder eines Kindes herausstellt, ist quellenmäßig nicht haltbar. Rosenbaum und Peter geben vielmehr einen passenden Totenkopf her. Der zweite Wiener Stadtphysikus Dr. Joseph Edler von Portenschlag-Ledermayer überprüft diesen nämlich und stellt fest, dass er von einem Greis stammen müsste. Haydns Schädel, so meint man, ist gefunden. Am 29. November 1820 wird er zu den übrigen Gebeinen in die Gruft der Eisenstädter Bergkirche gelegt. Von der versprochenen „fürstlichen Belohnung“ erhält Peter laut eigenen Angaben nichts.
Noch lange nicht das Ende der Geschichte
Rosenbaum und Peter hatten die Behörden getäuscht. Nicht Haydns Schädel hatten sie ausgehändigt, sondern der Kopf eines Unbekannten ruht nun neben Haydns Körper in Eisenstadt. Der echte Schädel ist immer noch bei Rosenbaum und dieser wahrt das Geheimnis bis zu seinem Tod im Jahr 1829. Erst am Sterbebett vertraut er ihn wieder Peter an:
„Freund, ich will nun den Kopf des Haydn, den wir alle so verehren, wieder in Deine Hand geben, nimm ihn aus jenem Kasten‘, den er mir bezeichnete, ‚und verwahr ihn indessen gut und geheim. Du hast erfahren, wie man auf Fürstenwort vertrauen kann, denn Du hast nichts von den Versprechungen für Abgabe des Kopfes erhalten, und vermache denselben seiner Zeit dahin, wohin wir schon oft gesprochen, dem hiesigen Musikkonservatorium. Dort wird er seiner würdig verehrt und im Gedächtnis erhalten werden, denn zu den übrigen Gebeinen in die Truhe gelegt, welche in irgendeinem Winkel der Gruft steht, geht er bald in die gänzliche Vernichtung über. Da Haydn kein Leibeigener des Fürsten war, so hat er keine rechtlichen Ansprüche auf seine Gebeine, die er frei und sorglos gleich nach seinem Tode der Erde übergeben hatte. Das hohe Musikkonservatorium kann ihn also vor gewaltiger Abnahme verwahren, welcher Gewalt Du als einzelner Mensch nicht entgegen wirken könntest.“
Ob Rosenbaum Nikolaus II. Esterházy das Hinauszögern der Heiratserlaubnis und die Entlassung auch am Totenbett noch übelnimmt? Jedenfalls will er Haydns Haupt nicht in den Händen des Fürsten wissen. Peter übernimmt den Schädel, doch er bestimmt, dass dieser erst nach seinem eigenen Tod an das Musikkonservatorium gehen soll, um „vor Verfolgung mich zu bewahren“. Peter stirbt 1838 und seine Witwe übergibt, vermutlich auch aus Angst vor weiteren Ermittlungen, den Kopf an dessen behandelnden Arzt Dr. Carl Haller.
Haller behält den Schädel bis 1852 und reicht ihn dann dem Professor der pathologischen Anatomie, Carl Freiherr von Rokitansky, weiter. Er begründet dies damit, dass der Kopf in einem von Rokitansky geplanten Museum für Pathologie und Anatomie einen würdigen Platz finden würde.
Carl Rokitansky verwahrt Haydns Schädel jedoch bis zu seinem Tod bei sich zu Hause auf. Erst dann wird er 1878 als kurioses Schauobjekt dem tatsächlich verwirklichten pathologisch-anatomischen Museum zur Verfügung gestellt.
1893 wendet sich der nunmehrige Direktor des Museums, Dr. Hanns Kundrat, an die Erben Rokitansky, um die unklaren Besitzverhältnisse zu klären. Diese beschließen, den Schädel der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien zu übergeben – also dem bereits von Peter zum zukünftigen Besitzer auserkorene Wiener Musikkonservatorium.
Unter der Bedingung, dass der Verein im Falle einer Auflösung das Cranium „samt allen Pertinenzen und Dokumenten der Stadt Wien für deren historisches Museum zu übergeben“ habe, wird Haydns Haupt im Jahr 1895 für 59 Jahre Museumsobjekt in der Gesellschaft der Musikfreunde.
Versuche einer Zusammenführung der Gebeine
Kritik am Verfahren mit Haydns Schädel wird schon in den Haydn-Gedenkjahren 1882 und 1884 laut. Doch erst 1908/1909 kommen sowohl von Wiener als auch Eisenstädter Seite Pläne für eine Zusammenführung der sterblichen Überreste, die allerdings scheitern. Fürst Esterházy will die Gebeine nicht nach Wien bringen lassen, während Wien Bedenken hat, den Schädel in den ungarischen Teil der Monarchie zu überführen.
1929 – das Burgenland ist seit knapp sieben Jahren jüngstes Bundesland der Republik Österreich – erreicht die Gesellschaft der Musikfreunde ein Antrag des burgenländischen Landeshauptmannstellvertreters, den Kopf doch Eisenstadt zu überlassen. Die Gesellschaft verneint: Wien sei als Zentrum der Musikkultur der geeignetere Ort für eine solch kostbare Reliquie.
1931 lässt Dr. Paul Esterházy ein Mausoleum in der Bergkirche errichten, um Haydn dort neuerlich zu bestatten. Auch hier scheitert eine Zusammenführung von Körper und Schädel am Gegenwind der Gesellschaft der Musikfreunde. Das fertig gestellte Mausoleum bleibt vorerst leer und wird versperrt. Ein ähnliches Vorhaben, am Wiener Zentralfriedhof ein Doppelmausoleum für Mozart und Haydn zu errichten, erhält kaum Unterstützung.
Als die zunehmende wirtschaftliche Krise der 1930er Jahre die Gesellschaft der Musikfreunde beinahe bankrottgehen lässt, erwägt diese den Verkauf des Kopfes. Doch auch dieser Plan geht nicht auf: Der Verkaufsbetrag in einem Kompromissvorschlag mit Fürst Esterházy ist der Gesellschaft zu gering.
Zu Zeit des Nationalsozialismus wird zunächst eine Überführung des Schädels nach Eisenstadt vehement durch die burgenländische NSDAP gefordert und auch eine Einigung erzielt. Aufgrund der Eskalation der Kriegsgeschehnisse 1941 verfolgt man die Angelegenheit bis nach Kriegsende jedoch nicht mehr weiter.
Auch nach 1945 will man vorerst das Haupt Haydns nicht ins Burgenland und damit in die sowjetische Besatzungszone schicken. Erst das Jahr 1953 läutet eine erfolgreiche Zusammenführung der Gebeine und des Schädels ein.
1954: Endlich vereint
Unter der Direktion der Gesellschaft der Musikfreunde findet mit Präsident Dr. Alexander Hryntschak und Generalsekretär Rudolf Gamsjäger eine Wendung der Ereignisse statt. Sie können am 26. November 1953 einen endgültigen, einstimmigen Beschluss der Gesellschaft erringen, den Schädel freizugeben. Der lange Irrweg des Haydn-Kopfes soll endlich in Eisenstadt sein Ende finden.
Dort ist man sich einig: „Vom 30. Mai bis 6. Juni 1954 wird das ganze Burgenland dem Genius Joseph Haydns huldigen“. Ein Appell an die burgenländische Bevölkerung, sich und Eisenstadt von der besten Seite zu zeigen, geht heraus:
„Sorgt dafür, daß Eisenstadt seinen größten Sohn würdig empfängt. Beflaggt Eure Häuser und gebt durch Blumenschmuck der Stadt ein freundliches und festliches Aussehen. Die Haydn-Woche mit ihren zahlreichen Veranstaltungen gibt allen Eisenstädtern die Gelegenheit zu beweisen, daß Joseph Haydn und sein Werk in den Herzen der Menschen weiterlebt und daß nicht nur die vielen Haydn-Gedenkstätten, sondern auch die Liebe Aller zur Kunst Joseph Haydns, Eisenstadt zur Haydnstadt Österreichs macht.“
Der Sarg mit dem echten Körper und dem falschen Schädel wird am Tag vor den groß angekündigten Feierlichkeiten aus der Gruft der Eisenstädter Bergkirche geholt. Den Kopf des Unbekannten entnimmt man und legt ihn in die Gruft zurück. Heute erinnert eine Gedenktafel an das Haupt jenes Mannes, das knapp 134 Jahre lang mit dem Körper Haydns bestattet war. Die sterblichen Überreste Haydns werden in einen Kupfersarg umgebettet und bis zur Schädelbeisetzung am nächsten Tag vor dem Hochaltar der Bergkirche aufgebahrt.
Am 5. Juni 1954 ist es so weit: Haydns Schädel wird von Wien nach Eisenstadt überführt. Dem Wagen folgen 130 Limousinen. Nach einer Zwischenstation in Haydns Geburtsort Rohrau trifft die Kolonne in Eisenstadt vor dem Schloss Esterházy ein. Mit einem Festzug wird die Reliquie zur Bergkirche getragen. Dem Bildhauer Gustinus Ambrosi wird die Ehre zuteil, den Schädel Haydns zu den restlichen Gebeinen zu legen. Ambrosi hält den langgereisten Kopf ein letztes Mal in die Höhe, präsentiert ihn den andächtigen Festgästen in der Kirche. Klicken der Fotoapparate, Blitzlichtgewitter, Spannung im Raum – dann senkt Ambrosi den Schädel in den Sarg hinab. Kopf und Körper haben endlich zueinandergefunden.
Der Sarg wird ins Mausoleum der Bergkirche getragen, wo er auch heute noch liegt. Nicht umsonst trägt die Bergkirche nun auch den Namen Haydnkirche, wo der große Komponist endlich seine letzte Ruhe findet – nach 145 Jahren.