25.08.2022
Ein Festival der Leidenschaft und der Zeichen – Musikalische Botschaften aus dem Burgenland
Leidenschaft und Haltung – das eine ist ohne das andere kaum zu denken. Umso erfreulicher, dass die Veranstalter des diesjährigen HERBSTGOLD – Festival in Eisenstadt ihr Programm kurzfristig um eine gewichtige Stimme bereichern konnten:
Die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv, leidenschaftliche Anwältin für die Freiheit ihres Landes und Begründerin des Ukrainischen Jugendsinfonieorchesters, wird mit eben diesem am 18. September einen ganz besonderen Konzertabend gestalten, bei dem neben Camille Saint-Saëns‘ Cellokonzert Nr. 1 und Dvořáks Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ auch die Sinfonietta ihres Landmanns Zoltan Almashi erklingt. „Musik kann nicht wegschauen. Musik soll Trost spenden!“, betont die langjährige musikalische Assistentin des Generalmusikdirektors der Berliner Philharmoniker Kirill Petrenko, die 2021 als erste Frau bei den Bayreuther Festspielen eine Festspielpremiere dirigierte. „Menschen, die in ein Konzert gehen, sollen danach anders aus dem Saal herauskommen, als sie hineingegangen sind. Musik ist nicht lediglich Unterhaltung. Sie ist ein Statement!“
Damit dürfte der Künstlerische Leiter Julian Rachlin sein Versprechen für das diesjährige, mit dem Motto „Leidenschaft“ übertitelte HERBSTGOLD – Festival bereits im Vorhinein erfüllt haben: „Garantieren kann ich Ihnen schon jetzt bewegende, berührende und begeisternde Begegnungen hier im einzigartigen und zugleich intimen Ambiente von Schloss Esterházy.“ Und mit der Installation des Chamber Orchestra of Europe als Residenzorchester des Festivals schwingt zudem im Subtext eine kulturpolitische Botschaft der kontinentalen Solidarität in Eisenstadt mit. Der multinationale Klangkörper wird – nach einem vorgeschalteten „Prélude“ mit Mozarts Oper „Bastien und Bastienne“ (11.9.), präsentiert vom Originalklang-Ensembles Barucco unter Leitung von Heinz Ferlesch in der Inszenierung des Regieteams Carolin Pienkos und Cornelius Obonya – das Festival sinfonisch eröffnen. Mit Julian Rachlin in der Doppelrolle als Solist und Dirigent am Pult stehen am 15. September Sinfonien von Haydn (Hob. I:49 „La passione”) und Beethoven (Nr. 7) sowie das Brahmssche Violinkonzert auf den Notenpulten. Drei Tage später (18.9.) übernimmt dann Sir András Schiff nämliche Doppelrolle beim Chamber Orchestra of Europe und gibt Joseph Haydns Klavierkonzert Nr. 11 D-Dur Hob. XVIII:11, Béla Bartóks Divertimento für Streichorchester sowie Haydns „Londoner Sinfonie“ Nr. 104 D-Dur Hob. I:104 zum Besten. Beim sinfonischen Festivalabschluss (25.9.) steht gemeinsam mit Julian Rachlin dann ein weiterer Klangkörper von europäischem Spitzenrang auf der Eisenstädter Bühne: die Filarmonica della Scala unter Robert Trevino mit dem Violinkonzert op. 35 von Peter Tschaikowski sowie der Schubert-Sinfonie Nr. 2 B-Dur D 125.
Intimere, freilich nicht weniger leidenschaftliche Stunden erwarten die Festival-Besucher im Schloss Esterházy bei vier Kammermusik-Veranstaltungen mit erlesenen Künstlern: den peruanisch-österreichischen Ausnahmetenor Juan Diego Flórez mit einem (teils selbstbegleiteten) Liederabend (16.9.), das französische Quatuor Ébène mit einem Haydn-Brahms-Janáček-Programm (19.9.), das exquisite Trio Julian Rachlin (Vl.), Sarah McElravy (Va.) und Boris Andrianov (Vc.) mit dem Bachschen Opus magnum „Goldbergvariationen“ in der Dmitri-Sitkovetsky-Fassung (21.9.) sowie das soeben aus den Internationalen Streichquartett-Wettbewerben von Bordeaux und der Wigmore Hall siegreich hervorgegangene Leonkoro Quartett mit Mozart und Schumann (25.9.).
Besondere Stärke dieses Festivals ist, dass Julian Rachlin und das HERBSTGOLD - Team immer auch die Genrevielfalt im Blick haben und programmatisch berücksichtigen. 2022 werden der französische Gitarrist Biréli Lagrène (& Friends) gemeinsam mit dem Janoska Ensemble „A Tribute To Django Reinhardt“ gestalten (23.9.) – extrovertierte Leidenschaft ist da garantiert. Und Letzteres gilt erst recht für den Konzertabend mit Traditionals und Roma-Musik vom Balkan bis ins Burgenland (23.9.), präsentiert inklusive mitreißender Choreografien des Gypsy-Dance-Theaters Totti Ovidiu.
Dass das Festival selbst bzw. sein Metier – bei aller Professionalität und Exzellenz – auch Sinn für Humor hat, beweisen zwei quasi semikabarettistische Programm-Highlights: der Loriot-Abend „Das Ei ist hart“ mit den Rezitatoren Dirk Sterman und Christoph Grissemann und der Pianistin Philippine Duchateau (22.9.) sowie eine (klingende) Lesung „The Music Critic“ in englischer Sprache mit der Hollywood-Legende John Malkovich (24.9.). Eine originelle und mottoaffine Bereicherung des Festivalprogramms bietet zudem die Filmvorführung von Ludovic Bernards „Der Klavierspieler vom Gare du Nord“ über einen kleinkriminellen, aber musikalisch hochbegabten Burschen, der sich aus schwierigen Verhältnissen hocharbeitet (20.9.): „eine brillante wie elektrisierende Geschichte über die vereinende Kraft der Musik und die große Chance, die im gegenseitigen Vertrauen liegt“ (mm filmpresse).
Die Konzeption des 2017 ins Leben gerufenen HERBSTGOLD – Festivals ist eine echte Erfolgsgeschichte – in den letzten beiden Jahren konnten 97 % Auslastung vermeldet werden. Ansporn genug für Julian Rachlin und die beteiligten Künstler, das Publikum 2022 mit „Passion, Enthusiasmus und ekstatischer Begeisterung“ (so die Lebensphilosophie des Festivalleiters) erneut in den Bann zu ziehen. Und dabei in einem Atemzug gesellschaftspolitische Zeichen zu setzen: für europäische Solidarität, ein grenzenloses, friedliches Miteinander und vorbehaltlose Menschlichkeit jedem und jeder gegenüber. Gerade die Kultur muss hier Haltung und Zeichen zeigen – mit aller Leidenschaft, die ihr innewohnt.